Tauben nach einem Schuss

ich kann meinen augen nicht trauen.
was für ein regen platzt da vom grauen
himmel und lässt den markt (auf dem ich
gerade noch ging) mit einmal auseinander stieben.
wie tauben nach einem schuss.
die hier bis vor kurzem noch handel trieben,
raffen an sich,
was ins trockene muss.
in schweren hieben
schlägt das wasser am boden auf.
schluss mit verkauf.

gleich neben mir, in der mitte
der straße, sehe ich eine mit rotem lampion,
die feine weiße scherenschnitte
und fächer auf ihrem wagen vertreibt.
es geht ihr wie allen:
ganz überfallen
ist sie vom vielen wasser. wer geht, wer bleibt?
die ware wird nass. voll hast
packt sie den hölzernen karren.
selbst die dächer der häuser knarren
unter der wässrigen last.

nimm deine beine und lauf,
yuemin,
(so taufe ich sie insgeheim)
nimm deine sachen
den roten lampion,
die fächer, die schnitte und flüchte dorthin,
wo auch die anderen händler schon
warten und gemeinsam hoffen,
dass bald der regen verschwindet.

doch yuemin bindet
erst eine plane auf ihren offnen
wagen. wenn nur der wind schnell ein ende findet.
der himmel hat solch eine kraft, kaum zu glauben!

aus einem laden mit äpfeln und trauben
zeigen zwei kinder unumwunden
mit ihren fingern auf yuemin.
das helfen ist hier noch nicht erfunden.
links und recht stolpern die leute vorbei.
großes geschrei,
ein drängen und rempeln.

der sturm kommt in stößen.
und yuemin rennt.
kann keiner den regen bezähmen?
die ware soll nicht noch mehr schaden nehmen.

erhaben (auf stelzen) und laut (mit rumor)
verläuft der highway durch die stadt.
drauf fahren und spritzen
die autos empor,
und aus allen ritzen
schießt wasser hervor.
und yuemin läuft lautlos.
das plastik hebt sich und flattert.
und alles wird nass. (nichts mehr zu machen.)
wer den rechten moment verpasst,
ergattert
zum schluss keinen trockenen platz.
und yuemin rennt.
rennt unter den highway.
da stehen die händler und händlerinnen
am trockenen, hellen fahrbahnbeton
und irgendwo dort, inmitten, drinnen,
verschwindet der rote papierlampion.

ich sehe zwei kinder, sie baden
die füße. drei alte daneben beklagen
den schaden.
nur wer einen festen laden
hat, kann jetzt noch lachen.
man sollte die stadt für yuemin überdachen.

ich gehe unter den dächern dahin
und sehe einen moment lang …
ja, wen? …
yuemin,
die frau mit den fächern? …
im trubel stehn.

die straße unter dem highway: versperrt
von dutzenden karren und wägen,
die alle hier eine zuflucht suchen.
es tutet und plärrt,
es fluchen
die fahrer der autos. wie sehr
sie auch hupen, wie sehr
der verkehr
sich auch staut auf den wegen,
hinaus in den regen
will keiner mehr.

nun hab ich das mädchen, das neben mir rannte,
(und das ich als yuemin benannte)
tatsächlich aus den augen verloren.
die ware ist bestimmt ganz zerschunden.
ich warte. und schaue die straße entlang.
über dem abfluss zieht wasser in runden.

der himmel gibt zeichen.
kaum weichen
die wolken, brennt wieder
die sonne hernieder.
noch reißt der wind recht rauh
an den haaren.
die händler, sie fahren
trotzdem hinaus. sie lösen den stau
und reiben sich trocken
und hocken
sich hin, um dem geschäft,
das sie treiben,
zu dienen.

nur yuemin, das mädchen,
ist nicht unter ihnen.

 

Ein Gedicht von Andreas Kurz

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