Einleben

“Und, wie war’s?”
Die Frage, vor der ich mich im Vorhinein am meisten gefürchtet habe. Gestellt hat sie mir in der Realität glaube ich niemand. Das liegt vielleicht daran, dass ich mich in einem so verständnisvollen Bekanntenkreis bewege, dass ihnen diese Frage als einfach zu banal, geradezu doof erschienen wäre. Denn, wie kann man ein Jahr in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent, in einer anderen Kultur, in einer anderen Welt – wenn man so sagen will – in einem simplen „Und, wie war’s?“ zusammenfassen?

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Doch natürlich variierten die Fragen, die mir kurz nach meiner Rückkehr aus Kenia gestellt wurden, und immer noch gestellt werden, nicht sehr stark. Dabei war und ist der Spitzenreiter „Und, hast du dich schon wieder gut eingelebt?“. Anfangs wusste ich diese Frage beim besten Willen nicht zu beantworten. Denn – im Endeffekt weiß man ja, in was für eine Kultur man zurückkehrt, man kann sich sehr gut darauf einstellen. Der berühmt-berüchtigte Kulturschock der westlichen Welt blieb bei mir aus. Also, kein Kulturschock, eigentlich ist alles so wie immer, und man könnte theoretisch ein Leben, das man einmal hatte, lückenlos fortsetzen. Das sage ich deswegen, weil mein Leben wirklich nach einem Jahr der größten Bemühungen und Anstrengungen, ständiger Höhen und Tiefen und permanenter Herausforderungen plötzlich wieder wie von selbst zu laufen begann, und zwar in einer sehr angenehmen Art und Weise, ohne dass ich persönlich mehr dazu beitragen musste, als einfach zu sein.

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Wie habe ich mich also eingelebt? Naja, also natürlich hab ich (und tu’ das noch immer), die Existenz einer Dusche, die sogar Warmwasser hat, genossen. Die Wäsche in die Waschmaschine zu geben, hat schon was. Und einfach mal mit dem Auto in die Stadt zu düsen, anstatt zu Fuß zu gehen, oder sich einen Minibus für elf Personen mit über zwanzig Mitfahrern zu teilen. Das ist alles sehr schön. Ich hatte allerdings kein Problem mit dem Wasserschöpfen in Kenia und der Handwäsche. Und auch nicht mit dem wiedererworbenen Luxus. Ganz pragmatisch gesehen: wenn’s mir jetzt nicht gut geht, dann bringt das keinem was. Hab ich mir zu Beginn gedacht. Und so hat das auch ganz gut funktioniert. Denn an meinen Wertvorstellungen und Ansichten, zum Beispiel die Gesellschaft betreffend, hat sich nicht sehr viel geändert. Was mich jetzt ankotzt, hat mich genauso schon vor einem Jahr angekotzt. Ich habe im Gegenteil eher sogar gelernt, diesen Zuständen und Situationen, die mich früher  manchmal an den Rand der Verzweiflung getrieben haben, ruhiger und gelassener entgegenzutreten. Natürlich hat diese Strategie in Momenten der Auseinandersetzung mit meinen Emotionen und Gedanken ihre Schwachpunkte aufgezeigt. 
Ich habe mir eine Standardantwort zurechtgelegt und diese so strahlend präsentiert, dass ich‘s mir fast selbst geglaubt habe. Eine Standardantwort ist wichtig, denn nach einem Lebensabschnitt, als welches man eine solche Erfahrung ja durchaus bezeichnen kann, weiß man ad hoc einmal gar nix. Da werden einem nach und nach, in den unerwartetsten Momenten, Dinge klar, die man sonst nie auf diese Art gedacht hätte. Und das dauert seine Zeit. Also so ging es mir zumindest. Ich wusste rein gar nichts zu irgendwas und hab mich einfach mal in meinem Leben treiben lassen. Denn wenn man nichts weiß, ist eine Sinnsuche relativ deprimierend. Außerdem sind die Sachen, die mich beschäftigt haben, beschäftigen, und die Probleme, mit denen ich mich plötzlich konfrontiert sah, nicht wirklich das Thema für einen kurzen  Smalltalk mit Bekannten am Wochenmarkt.

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Nach zwei Monaten des ziellosen Treibens beginne ich langsam wieder mit der konkreten Auseinandersetzung mit mir selbst und der Welt. 
Ich kann jetzt sinnvollere Gedanken zum Thema Rückkehr und Einleben fassen, weil ich einfach schon wieder ein wenig weiter davon entfernt bin. Ein wenig Distanz lässt ja bekanntlich einen umfassenderen Blick auf ein Thema zu, und wirft neue Fragen auf. Man versteht eigene Gedanken anders und kann einen Schritt von ihnen zurücktreten. Auf die Standardfrage, wie ich mich eingelebt habe, gebe ich vielleicht immer noch meine Standardantwort, aber mittlerweile verstehe ich sie selber mehr oder anders.

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Wie habe ich mich also eingelebt?
- Naja, es ist schwierig, weil alles so anders ist, und ein Teil von mir in Kenia geblieben ist. Ich muss mich halt wieder an das Leben hier gewöhnen. Aber grundsätzlich geht’s mir echt gut.

Text:  Sarah Maringer.
Fotos: Sarah Maringer & Norbert Habring

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