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Eigentlich wollte ich ein Interview mit der jungen Frau führen, die 2012 für ihren Debütroman Blasmusikpop bis über die Grenzen Österreichs bekannt geworden ist. Dafür habe ich meine Mutter, einen Fan ebendieses Buches, eingepackt, und bin an einem Abend im Juli mit ihr nach Steinbach, zur von „Bruno am Attersee“ veranstalteten Lesung gefahren.

Ich muss gestehen – ich war im Vorfeld von niederen Gefühlen in Angesicht des Erfolgs der nur wenig Älteren etwas verblendet, sodass ich mich weder mit ihrer Person noch mit dem Buch großartig beschäftigt hatte. Ich fand die Gelegenheit für ein Interview einfach passend, die Geschichte des Buches durchaus auch in Bezug auf Parallelen zu unserer Region reizvoll und hatte mir also das Werk am Tag zuvor in (einem äußerst reizvollen kleinen, vielseitigen und neben Büchern auch Waldviertler verkaufenden Geschäft am Stadtplatz von) Schwanenstadt gekauft. Auf dem Weg von der nach Frischfleisch pickenden Ferialarbeit heim, den Kopf voller Fließbandarbeit, nicht Literatur. Zum Einlesen und um nicht komplett unvorbereitet im Falle eines Interviews zu erscheinen. Ich muss wiederum gestehen – ich habe kaum mehr als ein paar Seiten gelesen, aber die haben mich amüsiert.

Die Geschichte des Johannes Irrwein, der mit Bildung und Wissenschaft seine „Abneigung gegen die Engstirnigkeit und den unreflektierten Traditionssinn des abgeschiedenen alpenländischen Bergdorfes St. Peter am Anger“ bekämpft, hat durchaus seinen Reiz – besonders wenn man selbst vom Land kommt. Trotzdem habe ich mich, wie erwähnt, bei Erscheinen und populär Werden des Romans sehr gegen das Lesen gesträubt. Erstens lese ich selten gerne, was schon Menschen vor mir, die sich Kritiker nennen, mit „Bestseller“ betitelt haben. Und zweitens war da ebendieses niedere Gefühl, das mich ein wenig begleitet hat. Etwas in mir hat gedacht, hat gefürchtet, dass mir diese junge Frau, die ich nicht kannte, die aber überall von den Titelseiten lachte, meine Geschichte weggenommen hatte. Sie hatte den Mut, das Buch zu schreiben, das ich nie begonnen habe und nie beginnen werde.

Aber zurück zu diesem Abend, an dem ich auf den ersten Blick sehr wenig Gemeinsamkeiten zwischen dieser anderen jungen Frau und mir erkennen konnte. Ich hatte mich brav eingelesen, wie ich es immer für Interviews machte, und meistens fühlte ich mich dann der Person auch näher, kann fast nicht mehr aufhören, mehr von ihrem Leben zu erfahren und kenne den Gegenstand meiner Recherchen trotzdem kein bisschen. Vea Kaiser war mir wieder völlig fremd, als sie, hübsch gestylt, mit selbstbewusstem Auftreten, mit dezentem Hund und auffallendem Mann im Gepäck die Aufmerksamkeit in der Pension Hanselmann auf sich zog. Ich lauschte einer perfekten, nicht zuletzt weil schon aus dem Effeff beherrschten und unzählige Male wiederholten, gut geplanten und mit viel Gestik und Mimik untermalten Lesung mit anschließender Fragerunde.

Und erst hier wurde ich wieder munter, und fand schließlich ein wenig von mir selbst in dieser fremden Frau wieder, als sie die Frage nach der Idee zu Blasmusikpop beantwortete: Sie beschrieb sich selbst als 16-Jährige die, von dem Wunsch nach Ausbruch und auch ein wenig Abrechnung getrieben, erstmals die Idee zu diesem „Anti-Anti-Heimatroman“ fasste. „Ich war damals 16 und lebte noch bei meinen Eltern auf einem Dorf in der Nähe von St. Pölten. Beim Joggen kam ich auf die Idee, einen Roman über einen Burschen zu schreiben, der auch in einem Dorf lebt und dort schrecklich unglücklich ist, bis er sich entschließt, dieses Dorf zu erforschen und so den Geheimnissen der Bewohner auf den Grund zu gehen.“ Eine Abrechnung, die sich dann, mit ein paar Jahren Abstand, eher als liebevoller Blick auf ein „Dörfel“ lest, das mit seinen ganzen Kuriositäten zwar fiktiv (samt fiktivem Dialekt!) bleibt, aber dennoch so nah an unserer Lebensrealität scheint.

Als ich an diesem Abend hörte, wann Vea Kaiser die Idee zu diesem Buch kam, packte mich die Erkenntnis in ihrer ganzen Klarheit: Wir sind alle ein bisschen wie Vea Kaiser. Oder nein, anders: Es gibt sehr viele Vea Kaisers. Erst an diesem Abend in der Pension Hanselmann wurde mir klar, dass meine und die Geschichte von Vea Kaiser nicht unsere, sondern die Geschichte von vielen ist:

Wir, das sind junge Rebellen, gefangen in der Enge einer Dorfgemeinschaft, aus der wir ausbrechen wollen, ausbrechen müssen, um uns selbst weiterzuentwickeln. Wir müssen uns von unserem Heimatort ebenso emanzipieren wie von unseren Eltern, müssen streiten und irrational handeln, müssen davonlaufen und widersprechen, schreien, dagegen sein und alles scheiße finden. Damit wir mit dem nötigen Abstand ein paar Monate oder Jahre oder Jahrzehnte später wiederkehren können in die uns geduldig offen empfangenden elterlichen Arme, in die Arme der Heimat. Wir sind gewachsen, haben uns entwickelt, sind vielleicht auch ein bisschen spießbürgerlicher geworden. Wir haben pubertäres Gedankenchaos gegen Mittzwanziger-Verwirrungen getauscht und Jugendsünden in digitalen Fotoalben abgelegt.

Wir kehren zurück mit dem nötigen Abstand, erkannt zu haben, dass doch nicht alles scheiße ist, dass uns ein Teil der Wurzeln zu dem gemacht hat, was wir sind, dass man weder Verwandtschaft noch Herkunft leugnen kann, sondern sie annehmen und mit ihr Frieden schließen muss, weil man sie sich eben nicht aussuchen kann. Und weil letztlich beides gar nicht so übel ist, wie gedacht.


Vea Kaisers Debüt „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ ist 2012 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und mittlerweile auch schon als Taschenbuch erhältlich.

Meinen Essay „Endstation Zell“, der hier immer wieder erwähnt wird, könnt ihr bei Bedarf hier nachlesen.

Text und Foto von Katia Kreuzhuber

 

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