Jede Einkaufsrechnung ist auch ein Stimmzettel

Interview mit Ulli Gladik

Shoppingcenter und Fachmarktzentren an der Peripherie der Städte: Jeder, der auf der B1 durch Vöcklabruck unterwegs ist, kann diese Erscheinung unserer Zeit sehr schön beobachten. In den Innenstädten wird es immer stiller, die Pensionistengruppen, die in Bussen anreisen, freut das.

Aber diese Kleinstadt ist nur ein Beispiel von vielen – das Stadtbild aller österreichischen Gemeinden hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch gewandelt und damit einhergehend die Art und Weise, wie wir konsumieren. Globale Konzerne verdrängen lokale Familienbetriebe, alle erdenklichen Produkte vom anderen Ende der Welt sind im letzten Billigladen des Landes angekommen.

Einkaufszentren spielen bei diesen Entwicklungen eine wesentliche Rolle. Der Dokumentarfilm Global Shopping Village beschäftigt sich mit der Thematik und zeigt, wie Einkaufszentren geplant und realisiert werden. Ein Shoppingcenterentwickler und seine Branchenkollegen werden bei ihrer Arbeit begleitet.

Am 9. August wird der Film im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung von 4840 Frames #1 Raum // Kapital // Stadt im OKH Vöcklabruck gezeigt.

Anschließend an die Filmvorführung wird es die Möglichkeit geben, mit Filmemacherin Ulli Gladik zu diskutieren.

Vöcklabruck ist von den Entwicklungen, die in deinem Dokumentarfilm Global Shopping Village gezeigt werden, nicht verschont geblieben. Freust du dich schon auf einen Besuch?

Ja, natürlich! Vor allem auf den Attersee bin ich gespannt- ich war noch nie dort. Wir haben auch in mehreren Gebieten in Oberösterreich gedreht, Eferding zum Beispiel. Da ist mir aufgefallen, dass es in dieser Region sehr viele Fachmarktzentren gibt.

Du hast die Schule für künstlerische Fotografie in Wien absolviert. Wie bist du dann zum Dokumentarfilm gekommen?

Anschließend habe ich auf der Akademie der Bildenden Künste Fotografie und Malerei studiert, viel Zeit in der Medienklasse nebenan verbracht und angefangen, kurze Videos zu drehen.

Bei einem Austausch in Bulgarien entstand ein Experimentalfilm über Mülltonnen, woraus schließlich eine kleine Doku wurde. Diese wurde auf der Diagonale gezeigt und gewann dann auch einen Preis. Außerdem habe ich gemerkt, dass es mir mehr Spaß macht, Dokumentarfilme zu drehen.

Was gefällt dir am Dokumentarfilm?

Mir gefällt, dass ich Dinge direkter zum Ausdruck bringen kann als zum Beispiel im Experimentalfilm.

Wie kommst du zu deinen Themen, wo ist der Punkt, an dem du sagst, zu diesem Thema soll ein Film entstehen?

Es hat einfach eins zum anderen geführt: Ich habe in Bulgarien durch die Arbeit mit den Müllsammlern auch Angehörige der Roma Minderheit kennengelernt, die in Wien auf der Mariahilfer Straße bettelten. Damals gab es schon das Vorurteil der Bettelmafia in den Medien, das sich durch Gespräche mit den Leuten aber nicht bestätigte. So kam mir die Idee, eine Person mit der Kamera zu begleiten. Mein erster Dokumentarfilm „Natasha” entstand.

Das Einkaufszentren-Thema interessierte mich, seit sich meine Heimatstadt Murau in der Steiermark sehr verändert hat. Ende der 90er entstanden rund um die Stadt etliche Fachmarktszentren und die Gewerbetreibenden gaben ihre Geschäfte in der Altstadt sukzessive auf. Die Altstadt, in der es früher ein reges kleinstädtisches Leben gab, ist mittlerweile völlig ausgestorben, was auch zur Folge hat, dass die Gebäude nicht mehr renoviert werden und die Leute aus der Stadt wegziehen.

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In Global Shopping Village werden Einkaufszentrenentwickler bei ihrer Arbeit begleitet und auch kritische Stimmen werden laut. Die Zuseher haben die Möglichkeit eine andere Perspektive einzunehmen. Ist es schwierig, sachlich zu dokumentieren, wenn man persönlich eine andere Meinung als die Protagonisten vertritt?

Ich hatte ganz viele Fragen: Warum werden so viele Shoppingcenter und Fachmarktzentren gebaut? Warum sind sie bei den Leuten so beliebt? Wie hängen Shopping Center mit den Finanzmärkten zusammen, was haben unsere privaten Pensionsfonds damit zu tun?

Für mich war die Recherche und die Arbeit am Film ein sehr intensiver Meinungsbildungsprozess, ich hatte mit den ProtagonistInnen viele spannende Diskussionen und ich habe versucht, diesem Prozess im Film eine Entsprechung zu geben. Zum Beispiel hab ich gefragt, ob es im Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht total problematisch ist, Shoppingcenter zu bauen, die darauf ausgerichtet sind, dass die Kunden mit dem Auto hinfahren. Die Antwort, wie man auch im Film hört, war, dass es der Kundenwunsch ist, mit dem Auto einzukaufen und dass man Autos verbieten müsste, um dem Problem Herr zu werden. Jetzt werden zwar Autos nicht verboten, denn so rigoros darf der Gesetzgeber auch nicht sein, aber es gibt Klimaschutzprogramme und Raumordnungsgesetze. Welche Möglichkeiten es dann aber wieder gibt, Raumordnungsgesetze zu umgehen, das erfahren wir dann ja auch im Film. Aber viele Fragen, die ich in diesem Zusammenhang auch wichtig fand, konnten im Film auch gar nicht angesprochen werden, weil der Themenkomplex sehr groß ist. Da muss man leider immer Abstriche machen.

Wäre da ein Nachfolgefilm denkbar?

Momentan eher nicht, es gibt so viele andere Themen, die mich noch interessieren. Derzeit recherchiere ich viel über die Zwischenkriegszeit in Europa.

In Global Shopping Village stellt sogar der Einkaufszentrumsentwickler die Frage: „Immer mehr, immer besser, immer größer- wo sind die Grenzen des Wachstums?” Gibt es darauf eine Antwort?

Der Kapitalismus ist ja grundsätzlich immer auf Wachstum aufgebaut, der dann wieder an Grenzen stößt. Etwa, dass man keine Ressourcen mehr hat, dass z.B. die Ressource Raum erschöpft ist, oder dass die Kaufkraft nachlässt, weil die Banken keine Kredite mehr geben, oder Peakoil, also das Ende der Ölreserven würde wohl auch viel ändern. Diese Grenzen verlangen dann eine Veränderung, und jene, die als erstes die neue – bleiben wir beim Handel – Handelsform entdeckt haben, machen dann das beste Geschäft damit, alle anderen springen auf, bis dann wieder Grenzen erreicht werden.

Warum ist das Einkaufszentrum gerade bei jungen Leuten so beliebt, oft auch als Treffpunkt mit Freunden?

Die Jugend geht wohl dahin, wo etwas los ist, und wenn das Angebot in einer Stadt aus einem Trachtenmodengeschäft, einem Bioladen und einem Orthopädiebedarf besteht, das Kino und McDonalds aber im Einkaufszentrum sind, dann treffen sich die Jugendlichen natürlich eher dort. Außerdem fehlt in der Stadt oft der Raum, in dem sich junge Leute austoben dürfen, wo sie auch einmal laut sein können.

Kinder und junge Familien, Geschäftstreibende und Senioren sind für die Politiker interessant, die Jugend wird da oft vergessen und es fehlen die Freiräume. Das Einkaufszentrum kommt dann und bietet alles Mögliche an Unterhaltung.

Wer sollte sich Global Shopping Village anschauen, für wen ist der Film gedacht?

Der Film hat keinen Kommentar, er erklärt nicht, wie man denken soll, sondern man muss aufmerksam schauen und sich selbst eine Meinung bilden. Er ist wahrscheinlich vor allem für ein Publikum, das sich vielleicht schon die eine oder andere Frage zum Thema gestellt hat, am spannendsten. Bis jetzt gab es vor allem Feedback von Leuten, die beruflich mit dem Thema zu tun haben, zum Beispiel von ArchitektInnen, Gewerbetreibenden oder von Leuten, die selbst in der Immobilienbranche tätig sind. Aber auch einige andere Leute haben mir geschrieben. Ich hoffe natürlich, dass der Film viele Menschen erreicht und zur Diskussion anregt.

Kann der Film auch eine Perspektivenerweiterung für jemanden darstellen, der sich davor noch keine Gedanken über die Thematik gemacht hat?

Ich denke schon, denn wenn man den Film sieht, werden einem einige Zusammenhänge klar. Vor ein paar Tagen hat mir jemand geschrieben, er hat, seit er den Film gesehen hat, versucht, nicht mehr in Shoppingcenters einzukaufen, aber er hat bemerkt, dass das gar nicht so einfach ist, sogar in Wien.

Ist das in der Großstadt genauso problematisch wie in einer kleinen Stadt?

Ich wohne in Wien im 20. Bezirk und mittlerweile haben in meiner Nähe viele Geschäfte zugesperrt, da sind jetzt Wettcafes. Und die nächste Möglichkeit Kleidung oder Sportartikel zu bekommen, ist für mich auch in einem Shoppingcenter. Am Land ist es natürlich krasser. In meiner Heimatgemeinde muss man schon ins Auto steigen um einkaufen zu können.

Was kann man konkret am eigenen Verhalten verändern, wenn man den Entwicklungen entgegen wirken will?

Man sagt ja „jede Einkaufsrechnung ist ein Stimmzettel”. Wofür entscheide ich mich? Billigstklamotten oder nachhaltig produzierte Waren? Ich selbst kaufe gerne regionale und saisonale Lebensmittel, so weit es möglich ist, die schmecken besser und sind gar nicht wirklich teurer, weil sie nicht vom anderen Ende der Welt hertransportiert werden. Bei Kleidung ist das Ganze schon schwieriger, aber es gibt mittlerweile auch schon preiswertere Möglichkeiten fair und ökologisch einzukaufen. Für viele ist Shoppen aber ein beliebtes Hobby, eine Lebenseinstellung, und der Handel baut genau auch darauf.

Kann man Zukunftsprognosen machen, wie sich die Problematik weiterentwickelt?

Also der Trend, dass sich auch in der Stadt wieder Geschäfte etablieren, den gibt es. Aber weil das meist teurere Geschäfte sind, ist das vor allem für Besserverdiener eine Alternative. Mal sehen, ob dieser Reurbanisierungstrend auch die Diskontmärkte mal mitreißen wird und diese ihre Grüne-Wiese-Standorte verlassen, weil im Fachmarktzentrum einfach nichts mehr los ist und dafür in der Stadt wieder die Post abgeht.

Danke für das Gespräch!

Ulli Gladik wird 1970 in Bruck an der Mur geboren. Sie absolviert die Schule für künstlerische Fotografie bei Friedl Kubelka und studiert anschließend an der Akademie der bildenden Künste in Wien Fotografie und Malerei. Ihre erste Dokumentation „Natasha“ erscheint 2008, heuer folgt „Global Shopping Village“. Seit ihrem Diplom in der MeisterInnenklasse an der Akademie der bildenden Künste arbeitet Ulli Gladik als freischaffende Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin, engagiert sich bei der „BettelLobbyWien“ und schreibt für den „Augustin“. Sie lebt in Wien.

Weitere Infos zu Ulli Gladik und ihren Filmen:

www.natasha-der-film.at
www.bettellobby.at/
www.facebook.com/GlobalShoppingVillage?fref=ts

 

Ein Interview von Pia Gärtner

 

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